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Dolomitensagen

 

Die Sagen bringen Licht in das Dunkel der Vergangenheit, auch wenn ihre Interpretation schwierig und kontrovers ist. Lange Zeit wurden die Sagen nur in mündlicher Überlieferung weitergegeben, bis man begann, sie aufzuschreiben. In den stues (Stuben) kann man noch heute den Widerhall der cunties hören, welche die Alten am Abend erzählten.

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Die Bleichen Berge

Im dahingesunkenen Reich der Dolomiten schwirrten einst die piepsenden Töne der Vogelsprache durcheinander. Das Bild, das sich der Betrachtung seiner Bewohner bot, war von der Blumenvielfalt in den Wiesen, vom satten grün der Wälder und den kristallklaren Bergseen bestimmt. In dieser ihrer Welt herrschte das Glück bis zu dem Tag, an dem der Sohn des Königs eine Mondprinzessin heiratete. Die beiden liebten sich über alles, doch konnte der Prinz das gleißende Mondlicht kaum, seine Gemahlin den Anblick der grauen Felsen und dunklen Wälder überhaupt nicht ertragen. An ein gemeinsames Leben im Schloß war nicht zu denken, da er um sein Augenlicht bangte und sie vor Sehnsucht nach ihrer strahlend hellen Heimat fast verging und schließlich dorthin zurückkehrte. Eines Tages, als der Prinz wieder einmal allein im Wald umherirrte, traf er den König der Zwerge, der nach Siedlungsland für sein Volk Ausschau hielt. Nachdem er sich die traurige Geschichte angehört, versprach der Zwergenkönig dem jungen Prinzgemahl im Austausch gegen die Erlaubnis, sich mit seinem Volk in den Wäldern häuslich nierderzulassen, die Berge des Reiches der Dolomiten in hellem Glanz erscheinen zu lassen. Der Bund wurde durch Handschlag besiegelt und in der darauffolgenden Nacht fing das Zwergvolk das Mondlicht Strahl für Strahl ein und überzog damit die Felsen. Mit der Rückkehr der Mondprinzessin kehrte auch das Glück wieder in das Reich der Dolomiten ein.

AA.VV.: Les plü beles liëndes dla Val Badia. Le più belle leggende della Val Badia. Die schönsten Sagen aus dem Gadertal. Uniun Ladins Val Badia, 1993.


Die Prinzessin Dolasilla

In einer fernen Vergangenheit, an die sich keine Menschenseele mehr erinnert, war das Reich der Fanes in den Dolomiten die Bühne einer Fabel, die mit den mutigen Taten der Tochter des Königs, Dolasilla beginnt.
Bildschön, blitzgescheit und tapfer, besaß sie eine Zobelstola und Silber, die ihr die Zwerge zum Zeichen der Dankbarkeit zum Geschenk gemacht und die besten Waffenschmiede im Reich zu einem Panzer, der jedem noch so harten Nahkampf standhielt und zu einem unvergleich wirkungsvollem Bogen verarbeitet hatten. Der Silbersee lieferte das Schilfrohr für die Pfeile, die so treffsicher waren, wie man sich's nur wünschen kann. Derart für ihren ersten Kampf bestens gerüstet, besiegte Dolasilla den Feind in Blitzesschnelle. Die siegreiche Prinzessin wurde von ihrem Volk mit großem Jubel durch die unwegsamen Pfade bis hinauf auf den Kronplatz geleitet. Dort wurde Dolasilla von ihrem Vater, dem König, mit der herrlichen Raietta gekrönt. Die Glanzzeit im Reiche der Fanes war angebrochen und ein großartiges Kapitel seiner Geschichte aufgeschlagen.

AA.VV.: Les plü beles liëndes dla Val Badia. Le più belle leggende della Val Badia. Die schönsten Sagen aus dem Gadertal. Uniun Ladins Val Badia, 1993.


König Laurin und sein Rosengarten

Vor langer, langer Zeit befand sich in den Dolomiten ein wunderbares Königsreich, von Rosen bestattet und reich an Edelsteinen und Geschmeiden, dessen Grenzen nicht von Mauern und Festungen bezeichnet waren, sondern nur von einem dünnen Seidenfaden. Dieses Reich, das heute noch Rosengarten genannt wird, wurde von einem Zwergenvolk bewohnt und König Laurin herrschte dort mit großer Weisheit und magischen Mächten.
Der König hatte sich in die schöne Similde, Tochter des alten Helden Hildebrand, verliebt und schickte Botschafter in das Nachbarland, um sie für ihn zu freien. Drei Zwerge begaben sich zum Schloß, um den Auftrag auszuführen, aber der Schloßwart, ein gewisser Wittich, empfang sie mit Hohnworten und wollte sie nicht einlassen. Der König Hildebrand aber, der sehr weise und gastfreundlich war, ließ die Botschafter in den Thronsaal, wo sie der Prinzessin den Heiratsantrag machten. Aber die Prinzessin Similde weigerte sich und ließ sich in keiner Weise überzeugen. So kehrten die drei Zwerge traurig und unverrichteter Sache wieder in ihr Land zurück. Am Ausgang der Festungsmauern begegneten sie aber wieder dem bösen Wittich, der sie wieder verhöhnte. Die drei Zwerge antworteten ihm nach Gebühr, sodass er vor Zorn fast barst. Wittich schwur sich zu rächen und in der gleichen Nacht ging er ihnen nach, erreichte sie und erschlug einen von ihnen. Die anderen konnten sich retten und erzählten dem König Laurin, was geschehen war. Dank seiner magischen Künste, in denen er gut bewandt war, entführte der König die schöne Similde, brachte sie in das Reich des Berges und behandelte sie wie eine Königin. Lange Jahre hindurch hatte man am Hofe Hildebrands keine Nachricht von der Prinzessin, aber eines Tages entdeckte ihr Bruder, wo sie gefangen war und beschloss, sie zu befreien. Der alte Vater warnte ihn vor der Stärke und der Macht Laurins und riet ihm, Dietrich von Bern um Hilfe zu bitten. So zogen die beiden Heere gegen die Dolomiten und an dieser Expedition nahm auch Wittich teil. Nach einem langen Marsch kamen sie zum Seidenfaden, der die Grenze des Rosengarten bezeichnete. Bei diesem Anblick zerriss Wittich den Seidenfaden und fing an, die roten, duftenden Rosen zu zertreten und abzuschneiden.
Auf einmal erschien unter den Blumen ein prunkhaft angezogenes Männlein mit einer von Diamanten, Saphiren und Rubinen besetzten Krone, das drohend einen Speer schwang: es war der König Laurin. Beim Anblick dieser Szene, die etwas grotesk erschien, konnten die Truppen das Lachen nicht verhalten. Wittich nahm höhnisch den Zweikampf mit dem Zwerg an, aber nach kurzer Zeit wäre er verloren gewesen, wenn Hildebrand ihm nicht beigestanden wäre. So verlor Laurin.
Aber als Dietrich von Bern sah, in welch schmachloser Weise der König behandelt wurde, wurde er zornig und zwischen den zwei zuerst verbündeten Heeren brach ein Streit aus. Wie durch ein Wunder erschien aus den Felsen die Prinzessin Similde, die den Streit schlichtete und zwischen den Kämpfern und Laurin Frieden stiftete, alle gaben sich die Hand im Zeichen der Freundschaft, aber der böse Soldat Wittich entfernte sich zornig und schimpfend.
König Laurin lud die neuen Freunde zu einem großen Fest ein und spät nach viel Tanz und Gesang gingen alle schlafen. Leider sollte der Schlaf des kleinen König von kurzer Dauer sein: Wittich versuchte einen Ausfall mit einem kleinen Heer von seinen Getreuen. Der Kampf war kurz, blutig und hart und die Eindringlinge wurden zurückgewiesen. Aber auch Hildebrand und Dietrich waren durch den Lärm und das Durcheinander geweckt worden und bewaffnet gingen sie zum Schloss heraus, um zu sehen was geschehen war. Niemand gab ihnen eine Erklärung und so befanden sie sich mitten im Kampf. Es wurde Tage und Tage gekämpft und am Ende wurde König Laurin besiegt und gefangen.
Quälende lange Tage vergingen für den armen König, weil unter seinen Aufsehern der böse Wittich war. Es vergingen Monate und Jahre, aber eines nachts gelang es Laurin, eine Zerstreutheit ausnützend, zu fliehen. Als er an den Grenzen seines Reiches ankam, glänzten ihm die Augen beim Anblick seines zauberhaften Gartens voll duftender Rosen. Noch einmal schaute er sie an, dann verwandelte er sie durch einen Zauber in Felsen. Von jenem Tag an ist es den Menschen nur für einige Minuten vergönnt, den wunderbaren, magischen Berg, den "Rosengarten" zu genießen und bewundern.

AA.VV.: Les plü beles liëndes de Südtirol. Le più belle leggende dell'Alto Adige. Die schönsten Südtiroler Sagen. Uniun Ladins Val Badia, 1993.